Katharina Pewny: Gezielte De-Konstruktionen

Katharina Pewny, Professorin für Performance an der Universität Gent, befasst sich in ihrem Beitrag IMPORT EXPORT JELINEK. Einleitende Bemerkungen zu VALIE EXPORTS „Elfriede Jelinek. News from Home. 18.8.88“, der 2007 in dem von Pia Janke herausgegebenen Sammelband Elfriede Jelinek: „ICH WILL KEIN THEATER“. Mediale Überschreitungen erschienen ist, mit dem 1988 entstandenen Video Elfriede Jelinek. News from Home. 18.8.88. Pewny geht auf EXPORTs und Jelineks ästhetische Verfahrensweisen und ihre Vergleichbarkeit ein:

EXPORT, Jelinek und viele andere Künstlerinnen betreiben gezielte De-Konstruktionen von allem, was irgendwie als “natürlich weiblich” gelten könnte: “Natur bin ich, erinnere daher oft an Kunst”, sagt die Vampirin Emily (eine Reminiszenz an die Dichterin Emily Brontë) in Jelineks Theatertext Krankheit oder moderne Frauen, das ebenfalls in den späten achtziger Jahren entstanden ist.1 Beide zeigen Strukturen der symbolischen Ordnung und dementsprechend die strukturelle Unmöglichkeit der Installation einer Subjektposition von Frauen.2 Überdeutlich wird dies in VALIE EXPORTs spektakulärer Aktion Tapp- und Tastkino, als sie einen Karton vor ihre (anscheinend nackte) Brust schnallt, einen Vorhang an der gegenüberliegenden Kartonseite anbringt und Passanten auf der Straße auffordert, mit ihren Händen durch den Vorhang zu greifen – Tapp- und Tastkino. Ich zitiere EXPORT aus dem Konzeptblatt von 1968: „Damit hebt sich der Vorhang, der bisher nur für die Augen sich hob, nun endlich auch für die Hände. […] Denn solange der Bürger mit der reproduzierten Kopie sexueller Freiheit sich begnügt, erspart sich der Staat die reale sexuelle Revolution.“3 VALIE EXPORT führt das Verfahren der Dekonstruktion als gender-, medien- und staatskritisches durch. Medien- und Staatskritik sind per se verflochten, da Bilder Nationen emotional verlebendigen (siehe Benedict Anderson).

aus: Katharina Pewny: IMPORT EXPORT JELINEK. Einleitende Bemerkungen zu VALIE EXPORTS „Elfriede Jelinek. News from Home. 18.8.88“. In: Janke, Pia (Hg.): Elfriede Jelinek: „ICH WILL KEIN THEATER“. Mediale Überschreitungen. Wien: Praesens Verlag 2007 (= DISKURSE.KONTEXTE.IMPULSE 3), S. 365-373, S. 368.


Anmerkungen

1 Jelinek, Elfriede: Krankheit oder moderne Frauen. In: Dies.: Theaterstücke. Reinbek: Rowohlt 1992 (Erstauflage 1987), S. 191-266, S. 195.

2 Eine ausführliche Darstellung und weiterführende Literatur zu den Debatten um Frauen, Feminismus und (bildende) Kunst seit den siebziger Jahren vgl.: Wagner-Kantuser, Ingrid: Interventionen. Feminismus als Methode. In: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hg.): VALIE EXPORT. Mediale Anagramme. Berlin: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst 2003, S. 163-183.

3 Aus dem Konzeptblatt für Tapp- und Tastkino (1968), ebd., S. 184.