Kathrina Reschka: Stimme – Geschlecht – Macht

Kathrina Reschka, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanische Sprachen und Literaturen der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, widmet sich dem Zusammenhang von Stimme, Geschlecht und Macht in den feministischen Theorien und den Gender Studies seit den 1950er Jahren.

Stimme – Geschlecht – Macht sind die Grundkonstituenten der Gendertheorie seit den 1980er Jahren. Geboren aus dem Geiste des linguistic turn, lösen sie die Trias Körper – Geschlecht – Macht ab, die in den 1970er Jahren insbesondere die feministische Theoriebildung getragen hatte.
Stimme, (Körper,) Geschlecht und Macht stehen spätestens seit 1950 in einem engen Beziehungsverhältnis, das prominent von Simone de Beauvoir in Le Deuxième Sexe für die Frau aufgezeigt und problematisiert wurde. Während die Problemlage zunehmend anerkannt und unter Einbeziehung von Kategorien wie Status, Alter, race ausdifferenziert wurde, waren die Ansätze zur Überwindung der Benachteiligung der Gruppe der Frauen, verwurzelt in der binären Opposition von weiblich/männlich, Körper/Sprache, Ohnmacht/Macht, schwarz/weiß, arm/reich usw., vielfältig.
Mit seinem Statement „Il n’y a pas LA femme“ hat Jacques Lacan verdeutlicht, dass das Sprachsystem der westeuropäischen Länder durch das männliche Begehren strukturiert worden sei und daher ein „volles Sprechen“ der Gruppe der Frauen unmöglich mache. Es waren die französischen Differenztheoretikerinnen Hélène Cixous und Luce Irigaray, die in den 1970er Jahren die avantgardistische Praxis des Körperschreibens (écriture féminine) und des Körpersprechens (parler femme) für die Gruppe der westeuropäischen weißen Frauen der Mittelschicht entwickelten. Die neue Sprachfindung und Teilhabe der Sprachlosen ging für sie vom Körper aus. Sie schlugen auf litera(tu)r(theoret)ischer Ebene eine „emanzipatorische Kunstform feministischer Ästhetik“ à la Valie Export ein (vgl. Das Reale und sein Double: der Körper, S. 39). Im Zuge des linguistic turn, d.h. der Aufwertung der Sprachhandlungen an sich, problematisierte Judith Butler in den 1980er Jahren, in Anschluss an Beauvoirs „On ne naît pas femme; on le devient“, dass die gesellschaftlichen Diskurse innerhalb einer symbolischen Ordnung den gendered body und die gender-Identität erst hervorbrächten. Ob ausgehend vom Körper oder ausgehend von der Sprache, gemeinsam ist den beiden an sich gegensätzlichen Ansätzen des Strukturalismus und des Konstruktivismus die Möglichkeit zur Neugewichtung innerhalb der Trias Stimme – Geschlecht – Macht, d.h., dass die Sprachlosen Zutritt zur Sprachwelt und den damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten erhalten.
Die Theorie, Philosophie und Schreibpraxis der französischen Differenztheoretikerinnen hat für die besagte gender group gezeigt, dass mit dem Eintritt in die Sprachwelt nicht nur neue Themen und Perspektiven Einzug halten, sondern auch eine neue Art der Sprachhandhabe. Dass der Spracheintritt nicht nur die eigene gender-Identität, sondern auch die ideelle und materielle Welt gestalten und neu entwerfen kann, zeigte Butler. Durch die Spracharbeit besagter Französinnen sah sich der rationale Diskurs beispielsweise nicht allein durch Sprachmusik, Sprachspiele, Metonymie und libidinöse Energien erneuert, der Idee der Sprachmacht bot das Modell der Fürsprache hier die Stirn. Wenn diesen Theorien auch bis heute (m. E. zu Unrecht) der Vorwurf des biological essentialism anhaftet und sie im Bereich der avantgardistischen Literaturästhetik anzusiedeln sind, so wird doch deutlich, dass gender-Identität immer auch als prozessuale Spracharbeit im jeweiligen sozio-kulturellen Kontext zu verstehen sein muss. Aus diesem Grunde wurde in die queer studies der Begriff der Positionalität eingeführt, der Subjekt nicht als Entität, sondern als ein stets Werden meint und die Komplexität der Selbsterfahrung miteinschließt; in den postcolonial studies bildete sich die Vorstellung von der Hybridität und der inneren Differenz heraus.
Wenn heute Stimme – Geschlecht – Macht in ein Beziehungsverhältnis gesetzt werden, ist die in westeuropäischen Gesellschaften verbreitete Tendenz festzustellen, die bisher dominierende Rolle des sozialen Geschlechts gegenüber den beiden anderen Momenten zu relativieren – siehe die transgender-Bewegung. Gleichzeitig hat eine neue Vorstellung von Identität Einzug gehalten, die nun nicht mehr als historisch, geschlechtlich und biographisch determiniert gilt, sondern sich durch einen ständigen Wandel, durch Differenz und eine gewisse Unfassbarkeit auszeichnet. Die Überwindung von Kategorien wie Lebensgeschichte und Authentizität birgt jedoch die Gefahr, dass die Stimmen der bisher Sprachlosen, die bspw. durch neue ethnographische Methoden die Möglichkeit haben, über die Erzählung ihrer Lebensgeschichte erstmals als Subjekt hervorzutreten, durch den Paradigmenwechsel hinsichtlich der Identität paradoxerweise wieder ausgeschlossen werden.