I turn over the pictures of my voice in my head (2008/2009)

VALIE EXPORT, Elfriede Jelinek

EXPORTs Film I turn over the pictures of my voice in my head entstand aus der Performance The voice as Performance, Act and Body, die 2007 bei der 52. Biennale in Venedig zu sehen war. Der Film dauert 12 Minuten, zu sehen sind VALIE EXPORTs Stimmritzen, die sie mit einem in die Kehle eingeführten Laryngoskop filmt. Auf der Homepage der Künstlerin finden sich weiterführende Informationen zum Film: www.valieexport.at

Elfriede Jelinek verfasste 2009 einen Essay zum Film. Sie veröffentlichte den Text Ungeduldetes, ungeduldiges Sichverschließen (ach, Stimme!). Zu Valie Exports Performancefilm „I turn over the pictures of my voice in my head“ 2008 auf ihrer Homepage (http://a-e-m-gmbh.com/wessely/fvaliest.htm). Der Text wurde von Margarete Lamb-Faffelberger ins Englische übersetzt. Die englische Version mit dem Titel The voice heads straightaway toward (Oh, Voice) wurde ebenfalls auf Jelineks Homepage veröffentlicht (http://a-e-m-gmbh.com/wessely/fvaliese.htm).

Jelinek setzt sich in ihrem Essay mit der Stimme und der Stimmerzeugung auseinander. Sie schreibt über die Anstrengungen der Stimmerzeugung und über das Zur-Sprache-Finden für die Frau:

Was für eine Anstrengung das Sprechen ist, noch dazu in einem Video, das ja zum Anschauen von außen her gedacht ist! In Valie Exports Video wird das Innerste nach Außen gestülpt. Das kann es nicht von allein, das muß erzwungen werden. Die Stimme muß aus einem nach außen hin zur Schau gestellten Kehlkopf kommen. Dazu wird ein Gerät verwendet. Was für eine Anstrengung, die Stimme dann herauszulassen! Die Anstrengung gilt ja meist Dingen und Geschöpfen, die nicht herausgelassen werden sollen. Wilden Tieren? Die Stimme ist das wilde Tier, das nicht nach außen dringen soll, aber hier gilt die Anstrengung dem Ausbruch. Dem Ausbrechen des Stimm-Vulkans. Diese Stimme ist nicht stumm. Diese Stimme soll mit einem Gerät zurückgehalten werden, damit sie studiert werden kann, damit die Stimmbänder bei der Arbeit beobachtet werden können, aber da erzwingt sie sich plötzlich den Ausgang in eine sich nicht öffnenwollende Offenheit! Das Außen ist doch da, bitte, Stimme, komm! Sie kann ja immer kommen, aber nur durch dieses kleine Gerät, daß die Stimm-Schamlippen entblößt, umtost von Speichel, von Säften, die das einzige Repräsentationsmittel der Frau sind, etwas Flüssiges, das man sonst kaum je zu sehen kriegt (umso neugieriger ist man drauf! Man möchte sofort hineinschauen. Bitte – können Sie haben!), durch dieses Laryngoskop bekommt die Stimme ihr Bewußtsein und kann zu wesentlichen Aussagen gelangen, indem sie sie: sagt. Der Kehlkopf ist das Hervorkommen, eigentlich das Hervorkommenlassen, ja, dazu ist er da, er läßt das heraus, was eingesperrt werden sollte, die Stimme, in einer Sprache, die jemand, irgendjemand verstehen muß, ja, muß!, sonst ist sie keine Sprache, und dann ist die Stimme zu nichts nütze, also nur heraus, Sprache! Aus dem ständigen Sichverschließen: heraus und hinaus! Das Schützende muß verlassen werden, und schon läuft es dem Schützen vor die Flinte. Man muß aus der Deckung getrieben werden, ist man Stimme, und brauchte man dazu ein Gerät, das wie die Treiber auf den Busch klopft, um die Stimme von ihrer Heimat, der Kehle, zu trennen und hinauszuscheuchen. Sie muß zu etwas gezwungen werden, diese Stimme, was sie ohndies gerne tut. Das ist die größte Anstrengung: Etwas zu tun, das erlaubt ist und doch wesenhaft von der Welt getrennt. Das bahnt sich jetzt seinen Weg, bevor es ganz weg ist.

aus: Elfriede Jelinek: Ungeduldetes, ungeduldiges Sichverschließen (ach, Stimme!). Zu Valie Exports Performancefilm „I turn over the pictures of my voice in my head“, 2008. In: a-e-m-gmbh.com/wessely/fvaliest.htm, datiert mit 22.2.2009, eingesehen am 27.7.2010 (= Elfriede Jelineks Homepage, Rubrik: Aktuelles, zur Kunst).