glottis 2007

VALIE EXPORT

Die 32-teilige DVD-Installation glottis entstand im Rahmen der Arbeit THE PAIN OF UTOPIA. DER SCHMERZ DER UTOPIE. Sie wurde 2007 bei der 52. Biennale in Venedig ausgestellt. Auf Monitoren sind EXPORTs Stimmritzen zu sehen, die sie mit einem Laryngoskop filmt, während sie versucht, einen selbst verfassten Text zu sprechen. Auf der Homepage von VALIE EXPORT ist ein Foto der Installation zu sehen und der Text nachzulesen: http://www.valieexport.at/de/werke/werke/?tx_ttnews[tt_news]=2237&tx_ttnews[backPid]=4&cHash=b2117de8a6

Im Gespräch mit Angelika Prawda aus Anlass der Ausstellung VALIE EXPORT. Zeit und Gegenzeit – Times and Countertime im Belvedere in Wien (2010) äußerte sich EXPORT über die Installation glottis und über die Funktion der laryngoskopischen Aufnahmen:

APA: Sie haben sich in früheren Arbeiten oft nackt gezeigt, sich selbst verletzt, sind damit an Ihre Grenzen gegangen. Setzt man die Grenzen im Laufe der Zeit und mit zunehmendem Alter anders?
VALIE EXPORT: Alter hat ja nichts mit geistiger Potenz zu tun. Vor drei Jahren habe ich bei der Biennale in Venedig mit einem Laryngoskop die Aufnahmen meiner Glottis gezeigt, meiner Stimmritze beim Sprechen meines Textes visuell dargestellt, den Beginn der Stimme. Das Laryngoskop zeigt das Innere des Körpers, bringt ein inneres Bild des Körpers nach außen – das Bild vom Anfang der Stimmbildung, wenn der Atem aus dem Brustkorb dringt und sich die Glottis öffnet und schließt, bevor überhaupt die Laute durch die Architektur des Mundes geformt werden. Das ist eine sehr anstrengende, und sicherlich grenzgängige Performance. Ich kenne eigentlich keinen Künstler, keine Künstlerin in der Kunstgeschichte, der oder die dieses kleine anatomische Wunder so deutlich im Realbild gezeigt hat.

aus: Angelika Prawda / VALIE EXPORT: Im Gespräch mit VALIE EXPORT. www.belvedere.at/de/ausstellungen/rueckblick/valie-export-interview (14.2.2012).

Sabeth Buchmann, Kunsthistorikerin und -kritikerin, Professorin für Kunstgeschichte der Moderne und Nachmoderne an der Akademie der Bildenden Künste in Wien sowie Vorständin des Instituts für Kunst- und Kulturwissenschaften, geht in ihrem Aufsatz Voice on-and-off. Zu Praxis und Diskurs der Performance in VALIE EXPORTs Werk, der in dem von Agnes Husslein-Arco, Angelika Nollert und Stella Rollig herausgegebenen Ausstellungskatalog VALIE EXPORT. Zeit und Gegenzeit – Times and Countertime (2010) erschienen ist, auf die Stimme in EXPORTs Installation glottis ein:

In der DVD-Installation glottis, die 2007 auf der 52. Biennale in Venedig zusammen mit der Performance The voice as performance, act and body innerhalb der Installation THE PAIN OF UTOPIA. DER SCHMERZ DER UTOPIE gezeigt wurde, war es die mittels eines Laryngoskops aufgezeichnete Stimmritze, die auf Monitoren zu sehen war. Durch diesen quasimedizinischen Eingriff, der die Aufmerksamkeit auf die emotionale Dimension sprachlicher Artikulation lenkt, wurde die Verständlichkeit des von EXPORT verfassten und von ihr selbst vorgetragenen Texts behindert. Zudem untergrub der Anblick des nach außen gestülpten Rachens und der von der Stimmritze erzeugte und unnatürlich klingende Ton deren „Menschlichkeit“: An mutierte Horror- und Science-Fiction-Wesen erinnernd, stellt glottis eine Zuspitzung jener technischen (Selbst-)Entfremdung des (sexualisierten) Subjekts dar, wie sie bereits in EXPORTs früheren Arbeiten angelegt war. Die „Stimme“ scheint auch hier jener identifizierbaren Repräsentation beraubt, derer es bedarf, um als „Subjekt“ vernommen und gehört zu werden.1) So ließe sich nicht zuletzt aus dem werkbegleitenden Text der Künstlerin die These ableiten, dass die Stimme ein essenzielles Element der Wahrnehmungsbedingungen jener von Lee beschriebenen Bilder des Lebens und des Todes ist, in die performative Werke wie glottis einzudringen suchen:

The glottis, the vocal cords, are symbols of the voice
they divide two phenomena
the voice inside, the breath
and the voice outside
the phenomenon of vocalization
of speech formation.
[…]
Turbulences of breath
formulate the expulsion of air
that opens the glottis
tears it apart
bursts through it

Turbulences that cut into the vocal cords
that score the banks of vocal orifice2)

Der mit Verletzung und Schmerz aufgeladene Topos des Schnitts bzw. des Schneidens erscheint auch hier als Möglichkeitsform der Entnaturalisierung der herrschenden sensorischen Ordnung – durch ein Trennen und Neuverbinden von Stimme und Atem, Sprache und Körper, Subjekt und Umwelt. Dass der Stimme in diesem Zusammenhang eine entscheidende Funktion zukommt, hat mit ihrer Fähigkeit zu tun, sich im Raum auszubreiten; sie ist anders als das Auge nicht von Tageszeit und Lichtverhältnissen abhängig. Ebenso wenig verfügt das Ohr über eine dem Augenlid vergleichbare Schließfunktion: Es ist mithin ein unkontrollierbares, mit der Stimme in direkter Beziehung stehendes Vermittlungsorgan zwischen Körperinnerem und seinem Außen.4)

1) Vgl. Jacques Rancière, Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2002.
2) VALIE EXPORT, The Glottis, 2007.
3) Buchstäblich in „Cutting“ und „Violation/Schnitte“.
4) Vgl. Jean-Luc Nancy, Zum Gehör. Zürich/Berlin: Diaphanes, 2010, S. 16.

aus: Sabeth Buchmann: Voice on-and-off. Zu Praxis und Diskurs der Performance in VALIE EXPORTs Werk. In: Husslein-Arco, Agnes / Nollert, Angelika / Rolling, Stella: VALIE EXPORT. Zeit und Gegenzeit. Köln: Verlag der Buchhandlung Walter König 2010, 63-68, S. 66-67.