Margarete Lamb-Faffelberger: Das Dilemma der Avantgarde

Margarete Lamb-Faffelberger, Professorin am Lafayette College (USA), beschäftigt sich in ihrer Publikation Valie Export und Elfriede Jelinek im Spiegel der Presse. Zur Rezeption der feministischen Avantgarde Österreichs (1992) mit der österreichischen Rezeption von VALIE EXPORTs und Elfriede Jelineks Werken:

Die feministisch-politische Gesellschaftskritik, die in Valie Exports Körper-Bildern ihren Ausdruck findet, werden durch die Sprach-Bilder der Schriftstellerin Elfriede Jelinek komplementiert. In Romanen, Theaterstücken und Hörspielen beschäftigt sie sich gleichfalls mit der Situation der Frau im heutigen Österreich. Für Elfriede Jelinek bedeutet die engagierte Auseinandersetzung mit den feministischen Anliegen jedoch dann eine gefährliche Verkürzung der Wahrnehmungsfähigkeit, wenn die ökonomischen Zusammenhänge in den gegenwärtigen Herrschaftsverhältnissen und -strukturen unberücksichtigt bleiben, wobei es ihr in ihrem schriftstellerischen Auftrag „immer noch (um) die Differenz zwischen Bewußtsein als Theorie und konkreter Aktion der Veränderung“ zu gehen scheint.1 Für ihren engagierten Feminismus wird die Umgangssprache der Massen zum Material: die Sprache wird in ihre Teilelemente zerlegt, um ihre tiefenstrukturelle Bedeutung zu entblößen. Durch ihren ästhetischen Stil der Montage bzw. Sprach-Collage kreiert Elfriede Jelinek einen neuen Sinnzusammenhang. Sie sucht „den Gegenstand in seiner Sprache auf und vertraut sich … dieser Sprache und ihren Automatismen an, bis sie heraus- und in eine andere Sprache hineintritt.“ Es gelingt ihr dadurch, eine scharfe Gesellschaftskritik als „brillante(n) Medien- und Sprachkritik“ zu formulieren.2 Elfriede Jelinek und Valie Export bedienen sich einer individuell geprägten anagrammatischen Ästhetik3 von hoher Qualität, deren dekonstruktive Elemente der Kunst-Kritik immer wieder größte Schwierigkeiten bereiteten. Ihr politisches Engagement und ihre ästhetischen Innovationen stießen zumeist in Österreich auf Intoleranz. Bei Jaqueline Vansant heißt es dazu: „Women’s concerns may not necessarily get bad press, but feminists, ‚libbers‘ (Emanzen) as they are called by the press, are constantly being dismissed as witches and manhaters“ (Vansant 35). Für die Presse gewannen beide Künstlerinnen durch den Ruf der skandalösen Kontroversen um ihre Arbeiten ursprünglich an Bedeutung. Dadurch erhielten sie an publizistischem Wert, weil das Interesse des Publikums gesichert war. Kunstkritische Rezensionsbeiträge wurden jedoch häufig von einem sensationslüsternen Zeitungsjournalismus verdrängt, der nur zu oft von einer subjektiven, emotionsgeladenen und von extremer Negativität getragenen Urteilssprechung bestimmt war. Die Rhetorik der journalistischen Äußerungen spottete mitunter jeder Kritik.4 Der teilweise sehr aggressive, bösartige Tonfall schürte das Feuer der öffentlichen Hetze gegen die beiden Künstlerinnen. Auf die Wahrung der Distanz zwischen Werk und Künstlerin wurde dabei wenig geachtet. Doch auch eine negative Medienpräsenz hebt den Bekanntheitsgrad.

Das Echo der Presse auf die Arbeit der beiden Künstlerinnen brachte die problematische Situation im konservativen Österreich für die avantgardistische Kunst des engagierten Feminismus deutlich ans Licht. Die Zeitungskritik, die vor allem in Österreich die traditionellen, männlich-dominanten Gesellschaftsverhältnisse noch stark reflektiert, konnte nur schwer den Zugang zur feministischen Avantgarde finden. In der Konfrontation von Jelineks Literatur sowie Exports multi-medialer Kunst mit den Massenmedien spiegelte sich das prinzipielle Problem der Funktion der Avantgarde und ihrer Repräsentation im Medienzeitalter wider. Die Avantgarde, die sich – wie bereits ihr Name ausdrückt – gegen überlieferte Darstellungsformen der Kunst und etablierte Gesellschaftswerte richtet, ist bemüht, durch neue, andersartige, auch schockierende Kunst-Formen Wahrnehmungsgewohnheiten zu durchbrechen, bzw. Erkenntnisvollzüge ins Schwanken geraten zu lassen und dadurch das Publikum zu einer gesteigerten Sensibilität den realen Zuständen gegenüber zu führen. Die allgemein ungewohnte, anti-traditionelle Ästhetik der Avantgarde ist jedoch oft nur einem kleinen Kennerkreis verständlich. In dem Konflikt zwischen einem subversiven Kunst-Ausdruck der kulturellen und gesellschaftlichen Alternative und dem Verhältnis zum Publikum manifestiert sich das Dilemma der Avantgarde: Ohne Medien kann sich die Avantgarde nicht konstituieren. Andererseits werden die Medien der avantgardistischen Kunst nicht gerecht. Die Rezensenten sind nicht nur mit den Kriterien der Beurteilung in den seltensten Fällen vertraut. Es ist auch die –natürlich beabsichtigte – irritierende Wirkung der avantgardistischen Ästhetik und Thematik, die ihnen schwer zu schaffen macht. Auf die extreme Provokation wird meist mit Ablehnung reagiert. Im Falle der Jelinek’schen Literatur und der multi-medialen Kunst Valie Exports machte das deutschsprachige Feuilleton seine Vernichtungsstrategien operativ.

aus: Margarte Lamb-Faffelberger: Valie Export und Elfriede Jelinek im Spiegel der Presse. Zur Rezeption der feministischen Avantgarde Österreichs. New York: Peter Lang 1992, S. 23-24.


Anmerkungen

1 Johann Stangel, Das annulierte Individuum (Frankfurt: Lang, 1988) 19.

2 Walter Klier, „In der Liebe schon ist die Frau nicht voll auf ihre Kosten gekommen, jetzt will sie nicht auch noch ermordet werden,“ Merkur 41 (1987): 424.

3 Unter einem Anagramm versteht man traditionellerweise die Umstellung der in einem Wort, einer Wortgruppe oder einem Satz enthaltenen Teile, die in neuer Anordnung einen neuen Sinn ergeben. Elfriede Jelinek modifiziert das literarische Stilmittel des Anagramms, um den verborgenen Sinn der Sprache freizulegen. Sie selbst spricht davon, daß ihr aufgrund der anagrammatischen Ästhetik die Möglichkeit gegeben ist, der Sprache die ihr innewohnende, höhere Wahrheit herauszulocken: „Diese Menschen lieben Musik und wollen, daß auch andere dazu gebracht werden. Mit Geduld und Liebe, wenn nötig mit Gewalt … Wie Alkoholiker oder Drogensüchtige müssen sie ihre Liebhaberei unbedingt mit möglichst vielen teilen“ (aus Die Klavierspielerin 62) und: „Fast tot, flach wie eine Freske, so blutet er sich ins Gras der Lichtung hinein. Es war ein Unfall, heißt es. Wir alle heißen ja auch irgendwie. Was wir nicht wissen, ist ein sanftes Ruhekissen. Sonne, los jetzt!“ (aus Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr 282). Als „mediale Anagramme“ bezeichnet Valie Export die Sequenzen ihrer Filmbilder, deren Einzelsegmente aus dem ursprünglichen Kontext herausgenommen und immer wieder in einen neuen Zusammenhang gestellt werden. Die Dekonstruktion eines Bildes erfolgt daher jeweils durch das darauffolgende Bild. Damit gelingt es ihr, eine tiefere Wahrheit der Bedeutungen ans Licht zu bringen: in ihrem Spielfilm Menschenfrauen überlagert Valie Export Bilder von historischen Madonna-Darstellungen (Skulpturen und Gemälde) mit den Körperhaltungen einer modernen Haus-Frau. Um die Madonnenfiguren nachzuahmen, zwingt sich die Frau zu unnatürlichen Verrenkungen. Dadurch gelingt es Valie Export, die traditionelle Vorstellung der Künstler von einer idealen weiblichen Pose in den Madonnen-Darstellungen als erzwungen und daher phallokratisch zu entlarven.

4 vgl. dazu Sibylle Cramer, „Die Sprache der Kritik zwischen Gefühl und Argument,“ Gründlich Verstehen Hg. Franz Josef Görtz und Gert Ueding ( Frankfurt: Suhrkamp, 1985) 17–28.